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Schon wieder: Arbeitgebertrauma Massenentlassung – keine Abschrift der Einleitung des Konsultationsverfahren an Arbeitsagentur übermittelt.

Beabsichtigt der Arbeitgeber eine größere Anzahl von Arbeitnehmern zu entlassen, sog. Massenentlassung, muss er einerseits mit dem Betriebsrat das sog. Konsultationsverfahren durchführen und andererseits vor Ausspruch von Kündigungen diese Massenentlassung der zuständigen Agentur für Arbeit anzeigen. Kaum ein Thema beschäftigt die arbeitsrechtliche Praxis im Zusammenhang mit Massenentlassungen so, wie die ordnungsgemäße Durchführung des Anzeige- und Konsultationsverfahrens. Dies belegen dutzende arbeitsgerichtliche Entscheidungen der jüngeren Zeit. Es ist ein arbeitsrechtliches Minenfeld für Arbeitgeber.

Die gesetzlichen Bestimmungen finden sich in vor allem §§ 17, 18 KSchG. Es gibt aber auch noch die Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (MERL). Dies bedeutet, dass die deutschen Rechtsvorschriften in Zweifelsfällen europarechtskonform auszulegen sind. 

So auch in dem Fall, den das Bundesarbeitsgericht am 27.1.2022 zur Verhandlung vorliegen hatte (Aktenzeichen: 6 AZR 155/21). Wie oft bei Massenentlassungen ist Beklagter ein Insolvenzverwalter. Nach Beschussfassung über die vollständige Einstellung des Geschäftsbetriebs der Insolvenzschuldnerin entschloss sich der Insolvenzverwalter zur Kündigung der zuletzt noch bestehenden 195 Arbeitsverhältnisse. Mit dem Betriebsrat fanden Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs sowie eines Sozialplans statt. In Verbindung mit dem Interessenausgleichsverfahren wurde auch das im Falle einer Massenentlassung erforderliche Konsultationsverfahren gemäß § 17 Abs. 2 KSchG durchgeführt.

Zwar wurde der zuständigen Agentur für Arbeit vor Ausspruch der Kündigungen die Massenentlassung angezeigt. Jedoch wurde – ob bewusst oder unbewusst – entgegen § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG dabei keine Abschrift der das Konsultationsverfahren einleitenden und an den Betriebsrat gerichteten Mitteilung über die Massenentlassungen übermittelt. Nachdem der Insolvenzverwalter die Kündigungen ausgesprochen hatte, klagten Arbeitnehmer. Zunächst in beiden Instanzen ohne Erfolg.

Das Bundesarbeitsgericht hat den Fall auch nicht entschieden. Es hat aber dem Gerichtshof der Europäischen Union im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens die Frage zur Beantwortung vorgelegt, welche Sanktion ein Verstoß gegen § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG nach sich zieht. Konkret geht es um die Frage, welchem Zweck die Übermittlungspflicht nach Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der MERL dient. Hiervon hängt nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts ab, ob § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG, der unionsrechtskonform in gleicher Weise wie Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der MERL auszulegen ist, ebenso wie andere, den Arbeitnehmerschutz – zumindest auch – bezweckende Vorschriften im Massenentlassungsverfahren als Verbotsgesetz gemäß § 134 BGB anzusehen ist. In diesem Fall wäre die Kündigung unwirksam.

Bis diese Frage durch den EuGH beantwortet und dann der Fall vom Bundesarbeitsgericht entschieden ist, wird einige Zeit vergehen. Eine Hängepartie für beide Seiten – Arbeitgeber, wie Arbeitnehmer. Es zeigt sich: Man kann manchmal nicht genau genug sein. Kleinste formale Fehler können bei Kündigungen fatale Auswirkungen haben.

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Thomas Regh
Fachanwalt für Arbeitsrecht
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