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Aufhebungsvertrag – Nicht vorschnell unterschreiben!
Eine aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 24.02.2022 (Aktenzeichen: 18 SA 1124/29) zeigt dies noch einmal auf. Eine beliebte Taktik von Arbeitgebern ist es, Arbeitnehmer in eine Drucksituation zu bringen, um Sie zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages, der das Arbeitsverhältnis zu schlechten Kondition beendet, zu drängen. Dem Fluchtinstinkt folgend, um möglichst schnell aus der Situation zu kommen, neigen Arbeitnehmer dazu, einen solchen Aufhebungsvertrag unüberlegt zu unterschreiben. Eine absolut verständliche, menschliche Reaktion. Über den Inhalt oder die Folgen haben sie sich kaum Gedanken gemacht oder aufgrund der Überrumpelungssituation gar nicht machen können. Wenn der Arbeitgeber nicht mit unzulässigen Mitteln, z.B. einer ungerechtfertigten Kündigung gedroht hat, sind die Chancen für Arbeitnehmer, diesen unliebsamen Aufhebungsvertrag wieder zu beseitigen, meist gering.
Was war geschehen?
Der Chef hatte eine Arbeitnehmerin zu einem Personalgespräch geladen. Völlig überraschend saß im Büro des Chefs auch dessen Anwalt. Die Arbeitnehmerin wurde mit dem Vorwurf konfrontiert, sie habe unberechtigt Einkaufspreise in der EDV des Arbeitgebers abgeändert bzw. reduziert, um so einen höheren Verkaufsgewinn vorzuspiegeln. Ihr wurde ein vorgefertigter Aufhebungsvertrag vorgelegt, den sie sofort unterschreiben sollte. Die Arbeitnehmerin unterzeichnete nach einer etwa zehnminütigen Pause, in der die drei anwesenden Personen schweigend am Tisch saßen, den vorbereiteten Aufhebungsvertag, der eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses von 8 Tagen zum Monatsende vorsah. Was sich bei dem Gespräch genau zugetragen hat und was gesagt wurde, ist zwischen den Parteien streitig geblieben. Wenige Zeit später wurde der abgeschlossene Aufhebungsvertrag dann von der Arbeitnehmerin angefochten, weil sie – wie sie sagte – zu Unrecht mit einer Kündigung bedroht und in der Situation überrumpelt worden sei, so dass sie zum Abschluss des Vertrages gedrängt wurde.
Wie wurde entschieden?
Während das Arbeitsgericht Paderborn der Klägerin noch Recht gab, entschied die zweite Instanz, das Landesarbeitsgericht Hamm, gegen die Klägerin. Auch vor dem Bundesarbeitsgericht hatte die Klägerin keinen Erfolg. Die Klägerin habe die gegen sie erhobenen Vorwürfe nicht nachvollziehbar entkräften können. Daher durfte der Arbeitgeber mit einer Kündigung und einer Strafanzeige drohen. Auch sei die vom Arbeitgeber geschaffene Situation nicht zu beanstanden. Wird einem Arbeitnehmer ein Aufhebungsvertrag nur zur sofortigen Annahme vorgelegt und ihm – trotz seines Verlangens – nicht die Möglichkeit eröffnet, einen Rechtsbeistand zum Gespräch über die Verhandlung eines Aufhebungsvertrages hinzuzuziehen, liegt darin kein Verstoß gegen die Grundsätze des fairen Verhandelns, selbst wenn das Personalgespräch unangekündigt und im Beisein des Anwalts des Arbeitgebers stattfindet, so schon die Auffassung des Landesarbeitsgerichts Hamm, aber auch des Bundesarbeitsgerichts.
Kurz noch zum Hintergrund:
Im Jahr 2019 hatte das Bundesarbeitsgericht (7.2.2019 – 6 AZR 75/18) in einer vielbeachteten Entscheidung insbesondere für arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge entschieden, dass in bestimmten Situationen ein Aufhebungsvertrag unwirksam sein kann, wenn er unter Verletzung des sog. Gebots fairen Verhandelns zustande gekommen ist. Das Bundesarbeitsgericht hatte entschieden, das eine Verhandlungssituation dann als unfair zu bewerten ist, wenn eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt wird, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners erheblich erschwert oder sogar unmöglich macht. Dies kann durch die Schaffung besonders unangenehmer Rahmenbedingungen geschehen, die erheblich ablenken oder sogar den Fluchtinstinkt wecken. Denkbar ist auch die Ausnutzung einer objektiv erkennbaren körperlichen oder psychischen Schwäche oder unzureichender Sprachkenntnisse. Die Nutzung eines Überraschungsmoments kann ebenfalls die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners beeinträchtigen (Überrumpelung). Letztlich ist die konkrete Situation im jeweiligen Einzelfall zu bewerten. Wenn man sich diese Definition ansieht, dann überrascht es, dass das Bundesarbeitsgericht so entschieden hat. Es entsteht der Eindruck, dass das Gericht sich davon hat leiten lassen, dass die Arbeitnehmerin die erhobenen Vorwürfe nicht richtig entkräften konnte.
Was bedeutet das für Arbeitnehmer?
Der Fall zeigt wieder einmal, dass man niemals Aufhebungsverträge unterschreiben sollte, bevor nicht ein Fachanwalt sich den Fall angesehen hat. Ich weiß, das ist leicht gesagt. Ist es dennoch passiert, dann ist schnelles Handeln gefragt.
Als Fachanwalt für Arbeitsrecht und Autor und Referent zum Thema „Kündigung“, „Aufhebungsvertrag/Abwicklungsvertrag“ und „Abfindung“ weiß ich, was zu tun ist.
Thomas Regh
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Tel.: 0228/60414-25
thomas.regh@huemmerich-legal.de
Einrichtungsbezogene Impfpflicht – Freistellungen ab 16.3.2022 unzulässig!
Die Zeit läuft langsam ab. Die heftig kritisierte einrichtungsbezogene Impfpflicht im Pflege- und Gesundheitswesen wird (wohl) kommen. Das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 10.02.2022, 1 BvR 2649/21) hat einen Eilantrag abgelehnt. Die Frage, die alle bewegt und weiterhin für große Verunsicherung sorgt ist, was passiert eigentlich am 16.03.2022, wenn bereits beschäftigte Arbeitnehmer nicht die erforderlichen Nachweise, also einen Impf- oder Genesenennachweis oder ein Impfunfähigkeitsattest vorlegen können?
Seit der Verlautbarung des Bundesgesundheitsministeriums vom 16.02.2022 (bestätigt auch durch die Erklärungen aus anderen Ländern) dürfte nun klar sein, dass zunächst einmal – nichts – passiert. Dies bedeutet: Der Arbeitnehmer, der keine Nachweise vorlegen kann, kann und muss weiterbeschäftigt werden. Selbstverständlich muss auch die Vergütung bezahlt werden.
In der sog. Handreichung des Bundesgesundheitsministeriums ist folgendes zu lesen (Seite 17, Frage Nr. 22):
„22. Welche arbeitsrechtlichen Folgen können sich für die betroffenen Personen ergeben, wenn keine Nachweise vorgelegt werden?
Im Hinblick auf Personen, die bereits in den betroffenen Einrichtungen und Unternehmen tätig sind, sind mögliche arbeitsrechtliche Rechtsfolgen abhängig von der Entscheidung des Gesundheitsamtes. Bis das Gesundheitsamt über den Fall entschieden hat und ggf. ein Betretungs- bzw. Tätigkeitsverbot ausgesprochen hat, ist eine Weiterbeschäftigung der betroffenen Person möglich. Die öffentlich-rechtliche Vorschrift des § 20a IfSG begründet kein Recht des Arbeitgebers zur Freistellung. Wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiterbeschäftigt werden können, besteht auch keine Grundlage für kündigungsrechtliche Konsequenzen. In den Fällen, in denen das Gesundheitsamt ein Tätigkeits- oder Betretensverbot ausgesprochen hat, kann die betroffene Arbeitnehmerin bzw. der betroffene Arbeitnehmer in der Einrichtung nicht mehr tätig werden. Damit dürfte für betroffene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Vergütungsanspruch in der Regel entfallen. …“
Keine Freistellung vor Betretungs- bzw. Tätigkeitsverbot!
Also: Freistellung und Einstellung der Gehaltszahlung ist vor der Entscheidung des Gesundheitsamtes über ein Betretungs- bzw. Tätigkeitsverbot ausgeschlossen! Übrigens: Kündigung und Abmahnung natürlich auch (sehen Sie dazu meinen Beitrag vom 22.02.2022).
Mit welchen Abläufen ist zu rechnen?
Liegt bis zum 15.03.2022 kein Impf- oder Genesenennachweis und auch kein Impfunfähigkeitsattest vor, benennt der Arbeitgeber dem Gesundheitsamt diese Mitarbeiter. Das Gesundheitsamt wird die Mitarbeiter dann anhören und zur Vorlage der Nachweise auffordern und erst, wenn diese nicht vorgelegt werden, unter Umständen ein Betretungs- bzw. Tätigkeitsverbot aussprechen.
Es gibt bereits „Fahrpläne“ und Verlautbarungen der Länder. In vielen Bundesländern dürften Beschäftigungsverbote mit deutlicher zeitlicher Verzögerung ausgesprochen werden. Einige Bundesländer, allen voran Bayern, hatten schon Widerstand angekündigt. Andere Bundesländer, wie bspw. Rheinland-Pfalz wollen hingegen zügig entscheiden, mit Bußgeldverhängung.
Nordrhein-Westfahlen hat als Zeitplan ausgegeben, dass dem Gesundheitsamt bis zum 31.03.2022 die Meldungen vorliegen müssen und dann bis Mitte Juni durch die Gesundheitsämter entschieden werden soll. Ähnlich ist es wohl in Thüringen. Sachsen will Beschäftigten vier Wochen Zeit geben, um die Nachweise vor Ausspruch eines Verbots vorzulegen.
Wie werden die Entscheidungen der Gesundheitsämter sein?
Das ist schwer einzuschätzen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung durch die Gesundheitsämter wird in jedem Fall auch den Belangen der Versorgungssicherheit sowie der Funktionsfähigkeit der Einrichtung/des Unternehmens Rechnung getragen werden müssen. Entsprechende Angaben sollten Arbeitgeber und Arbeitnehmer dem Gesundheitsamt unbedingt machen. Einige Bundesländer haben bereits signalisiert, großzügig zu entscheiden. Andere wollen restriktiv entscheiden, sogar mit Bußgeldandrohung.
Neben und unabhängig von der Entscheidung über ein Betretungs- bzw. Tätigkeitsverbot kann bei Nicht-Vorlage eines Nachweises trotz Aufforderung durch das Gesundheitsamt auch ein Bußgeld verhängt werden (s. § 73 Abs. 1a Nr. 7h IfSG).
Übrigens: Kein Beschäftigungsverbot bei sonstiger Abwesenheit!
Das Bundesgesundheitsministerium hat in seiner letzten Veröffentlichung (Handreichung vom 16.02.2022) einen interessanten Hinweis gegeben:
Die Vorschrift des § 20a IfSG bezieht sich auf eine Tätigkeit in den betroffenen Einrichtungen oder Unternehmen. Dies bedeutet, dass Personen, die sich beim Ablauf der Frist, also am 16.03.2022, im Mutterschutz, Elternzeit oder in vollständiger Freistellung wegen Pflegezeit befinden oder einem Beschäftigungsverbot (bei Schwangerschaft) unterliegen, erst bei Rückkehr vorlagepflichtig sind. Das gleiche gilt für Sonderurlaub, Krankschreibung oder Ruhen des Arbeitsverhältnisses wegen befristeter Erwerbsminderung.
Dies bedeutet, dass die Beschäftigten erst bei dann die Nachweise erbringen müssen, wenn sie an den Arbeitsplatz zurückkehren. Vorher sind damit natürlich auch Freistellungen oder Kündigungen durch den Arbeitgeber ausgeschlossen. Ist das jetzt die Hintertür der Hintertür?
Wenn Ihr Arbeitgeber dies alles ignoriert, melden Sie sich.
Thomas Regh
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Tel.: 0228/60414-25
thomas.regh@huemmerich-legal.de
Einrichtungsbezogene Impfpflicht – Kündigungen unwirksam!
Trotz Kritik aus Politik, Gesellschaft, Wissenschaft und von Juristen wird die sog. einrichtungsbezogene Impfpflicht im Pflege- und Gesundheitsbereich (wohl) kommen. Seit das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 10.02.2022, 1 BvR 2649/21) einen Eilantrag gegen die Einführung der ab dem 16.03.2022 geltenden Impfpflicht in Pflegeheimen, Krankenhäusern, Arztpraxen und anderen Einrichtungen abgelehnt hat, obwohl es selbst Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der in § 20a IfSG gewählten gesetzlichen Regelungstechnik hat, dürften sich letzte Hoffnungen Betroffener zerschlagen haben.
Arbeitgeberseitige Kündigungen sind zu erwarten. Doch werden sie wirksam sein?
Keine vorweggenommenen Kündigungen!
Die Verunsicherung ist groß. Dies gilt nicht nur für Arbeitnehmer, sondern auch für Arbeitgeber. Manche Arbeitgeber neigen aber in einer Art vorauseilenden Gehorsam dazu, schon jetzt vollendete Tatsachen schaffen zu wollen.
Erste Kündigungen wurden bereits ausgesprochen, wenn Arbeitnehmer nicht über einen Impf- oder Genesenennachweis oder eine Impfunfähigkeitsbescheinigung verfügen oder (unvorsichtigerweise) mitgeteilt haben, sie wollten sich nicht impfen lassen.
Solche vorwegenommenen Kündigungen sind in jedem Fall rechtswidrig – dies gilt jedenfalls uneingeschränkt dann, wenn das sog. Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet, d.h. der Arbeitnehmer bereits länger als sechs Monate beschäftigt ist und im Betrieb mehr als 10 Arbeitnehmer tätig sind.
Die Gründe sind klar: Einerseits steht noch nicht ganz abschließend fest, ob die einrichtungsbezogene Impfpflicht überhaupt kommt. Vor allem aber steht noch gar nicht fest, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer ab dem 16.03.2022 nicht mehr beschäftigen darf. Denn ein Beschäftigungsverbot tritt bei den bereits beschäftigten Arbeitnehmern am 16.03.2022 nicht automatisch ein, sondern kann nur durch das Gesundheitsamt ausgesprochen werden. Das wird auch nicht am 16.03.2022 geschehen, sondern erst später. Auch kann ein ungeimpfter Mitarbeiter noch bis zum 15.03.2022 ein Impfunfähigkeitsattest vorlegen.
Das Prozedere ist nämlich folgendes: Liegt bis zum 15.03.2022 kein Impf- oder Genesenennachweis und auch kein Impfunfähigkeitsattest vor, benennt der Arbeitgeber dem Gesundheitsamt diese Mitarbeiter. Das Gesundheitsamt wird die Mitarbeiter dann anhören und zur Vorlage der Nachweise auffordern und erst, wenn diese nicht vorgelegt werden, unter Umständen ein Beschäftigungsverbot aussprechen.
Denkbar ist, dass ein Beschäftigungsverbot überhaupt nicht oder mit deutlicher zeitlicher Verzögerung ausgesprochen wird. Einige Bundesländer, allen voran Bayern, hatten schon Widerstand angekündigt. Andere Bundesländer, wie bspw. Rheinland-Pfalz wollen hingegen zügig entscheiden, mit Bußgeldverhängung. NRW hat als Zeitplan ausgegeben, dass dem Gesundheitsamt bis zum 31.03.2022 die Meldungen vorliegen müssen und dann bis Mitte Juni durch die Gesundheitsämter entschieden werden soll. Ähnlich ist es wohl in Thüringen.
Kündigungen nach Beschäftigungsverbot unwirksam!
Erst mit dem Beschäftigungsverbot wird die Beschäftigung auch unmöglich. Der Arbeitgeber darf auch erst dann die Gehaltszahlung einstellen. Doch auch dieser Umstand rechtfertigt keine Kündigung, jedenfalls dann, wenn das Kündigungsschutzgesetz anwendbar ist. Außerhalb der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes, z.B. in Kleinstbetrieben, wie kleinen Arztpraxen, muss die Betrachtung differenzierter erfolgen.
Darf der Arbeitnehmer wegen eines Beschäftigungsverbots nicht beschäftigt werden, rechtfertigt dies keine Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen. Denn die Unmöglichkeit der Beschäftigung besteht allein wegen des verhängten Beschäftigungsverbots. Gäbe es dieses nicht, würde der Arbeitnehmer ja arbeiten wollen und können. Die gesetzliche Nachweispflicht besteht auch nicht gegenüber dem Arbeitgeber, sondern gegenüber dem Gesundheitsamt. Der Arbeitgeber „sammelt“ nur die Informationen ein. Aus diesem Grund sind auch etwaige verhaltensbedingte fristlose Kündigungen unwirksam – jedenfalls dann, wenn man sich nicht weigert einen Nachweis vorzulegen, sondern einen solchen schlichtweg nicht vorlegen kann.
Denkbar ist daher nur eine Kündigung aus sogenannten personenbedingten Gründen. Eine solche Kündigung kann gerechtfertigt sein, wenn es dem Arbeitgeber für eine längere Zeit nicht möglich ist, den Arbeitnehmer zu beschäftigen, weil der Arbeitnehmer an der Erbringung seiner Arbeitsleistung gehindert ist. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn der Arbeitnehmer eine lange Zeit krankheitsbedingt ausfallen wird oder wenn der Arbeitnehmer aufgrund einer längeren Gefängnisstrafe nicht arbeiten kann oder weil eine behördliche Genehmigung, etwa eine Arbeitserlaubnis versagt wird. Voraussetzung in diesen Fällen ist also immer, dass der Arbeitnehmer eine längere Zeit nicht beschäftigt werden kann. Für krankheitsbedingte Ausfallzeiten fordert die Rechtsprechung in der Regel einen Ausfallzeitraum von 2 Jahren.
Weitere Voraussetzung ist außerdem, dass es dem Arbeitgeber unzumutbar ist, das Arbeitsverhältnis bis zur erwarteten Rückkehr des Arbeitnehmers, z.B. bis zur Genesung oder dem Ende der Haftstrafe aufrechtzuerhalten. Weil der Arbeitgeber in diesen Fällen regelmäßig keine Gehaltskosten mehr tragen muss, müssen sonstige gewichtige betriebliche Auswirkungen vorliegen, die es dem Arbeitgeber unzumutbar machen, den Arbeitsplatz des betroffenen Arbeitnehmers bis zur möglichen Rückkehr freizuhalten.
Bei der einrichtungsbezogenen Impfpflicht ist zunächst zu beachten, dass diese nur bis zum 31.12.2022 gilt. Ob sie verlängert wird, steht nicht fest. Auf die bloße Möglichkeit einer Verlängerung kann sich der Arbeitgeber nicht berufen. Also muss man von einem Ende am 31.12.2022 ausgehen. Geht man davon aus, dass Beschäftigungsverbote nicht sofort ausgesprochen werden, sondern erst nach einer Prüfungsdauer, dürften erste Beschäftigungsverbote durch die Gesundheitsämter frühestens im April, nach Verlautbarungen aus einigen Bundesländern sogar erst im Juni ausgesprochen werden können. Dann kann dieses Beschäftigungsverbot aber längstens 8 bis 9 Monate, wahrscheinlich aber nur viel kürzer gelten. Vor diesem Hintergrund bestehen schon gravierende Zweifel, ob der Zeitraum, den der Arbeitnehmer wegen eines Beschäftigungsverbots ausfällt, überhaupt ausreichend lang ist, um im Sinne der Rechtsprechung einen längerfristigen Ausfall annehmen zu können.
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass Arbeitgeber bei einem Beschäftigungsverbot kein Gehalt mehr zahlen müssen. Für eine berechtigte Kündigung wäre es daher erforderlich, dass es dem Arbeitgeber unzumutbar ist, den Arbeitsplatz des betroffenen Arbeitnehmers bis zur Rückkehr freizuhalten. Berücksichtigt man hier die vom Arbeitgeber zwingend einzuhaltende ordentliche Kündigungsfrist, wird schnell klar, dass es keine überzeugenden Argumente geben kann, warum es dem Arbeitgeber unzumutbar ist, die Rückkehr des Arbeitnehmers abzuwarten.
Die Kündigungsfrist hängt von der vertraglichen Vereinbarung ab. In jedem Fall gelten gesetzliche oder tarifliche Kündigungsfristen, wenn sie länger als vertragliche Kündigungsfristen sind. Die längste gesetzliche Kündigungsfrist beträgt 7 Monate zum Monatsende. Im öffentlichen Dienst bzw. bei kirchlichen Trägern beträgt die längste Kündigungsfrist 6 Monate zum Quartalsende. Diese langen Kündigungsfristen kommen bei sehr langjährig beschäftigten Mitarbeitern zum Tragen. Bei einer Kündigung gegenüber einem Mitarbeiter, der eine solch lange Kündigungsfrist hat, würde das Arbeitsverhältnis praktisch mit dem Auslauf der gesetzlichen Impfpflicht enden. Von einer Unzumutbarkeit die Rückkehr abzuwarten, wird man also nicht sprechen können. Aber auch bei kürzeren Kündigungsfristen ergibt sich keine andere Bewertung. Dass Arbeitgeber angesichts des Fachkräftemangels in der Pflege- und Gesundheitsbranche rasch Ersatzkräfte finden, dürfte ausgeschlossen sein.
Keine Kündigung bei Sonderkündigungsschutz!
Beschäftigte, die über einen besonderen Kündigungsschutz verfügen, z.B. bei Schwangerschaft, Elternzeit, Schwerbehinderung oder als Betriebsrat, Personalrat und Mitglied der MAV, sind vor Kündigungen besonders geschützt. Eine Kündigung gegenüber einem solchen Beschäftigten aufgrund eines Beschäftigungsverbots ist unwirksam. Etwaig notwendige Zustimmungen der Arbeitsschutzbehörden werden sicherlich nicht erteilt werden.
Kein Beschäftigungsverbot und keine Kündigung bei sonstiger Abwesenheit!
Das Bundesgesundheitsministerium hat in seiner letzten Veröffentlichung (Handreichung vom 16.02.2022) einen interessanten Hinweis gegeben:
Die Vorschrift des § 20a IfSG bezieht sich auf eine Tätigkeit in den betroffenen Einrichtungen oder Unternehmen. Dies bedeutet, dass Personen, die sich beim Ablauf der Frist im Mutterschutz, Elternzeit oder in vollständiger Freistellung wegen Pflegezeit befinden oder einem Beschäftigungsverbot (bei Schwangerschaft) unterliegen, sind erst bei Rückkehr vorlagepflichtig sind. Das gleiche gilt für Sonderurlaub, Krankschreibung oder Ruhen des Arbeitsverhältnisses wegen befristeter Erwerbsminderung. Dies bedeutet, dass die Beschäftigten erst bei dann die Nachweise erbringen müssen, wenn sie an den Arbeitsplatz zurückkehren. Vorher sind damit natürlich auch Kündigungen durch den Arbeitgeber ausgeschlossen. Ist das jetzt die Hintertür der Hintertür?
Was tun bei Kündigung!
Sollten Sie eine Kündigung erhalten, dann müssen Sie bestimmte Fristen beachten. Vielen bekannt ist sicherlich die Klagefrist von drei Wochen. Innerhalb dieser Frist muss man beim Arbeitsgericht eine Kündigungsschutzklage eingereicht haben. Aber auch andere Fristen sind eventuell zu beachten. So gibt es eine sehr kurze Frist, wenn man die Berechtigung des Unterzeichners der Kündigung zum Ausspruch von Kündigungen bestreiten möchte. Hier ist ein Handeln ohne schuldhaftes Zögern innerhalb weniger Tage erforderlich.
Haben Sie eine Kündigung erhalten. Zögern Sie nicht. Rufen Sie an. Ich helfe Ihnen – bundesweit.
Thomas Regh
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Tel: 0228/60414-25
thomas.regh@huemmerich-legal.de
Bundesverfassungsgericht lehnt Eilantrag gegen einrichtungsbezogene Impfpflicht ab!
Mit dem heute veröffentlichten Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht einen Eilantrag gegen die Einführung der ab dem 16.03.2022 geltenden einrichtungsbezogenen Impfpflicht in Pflegeheimen, Krankenhäusern, Arztpraxen und anderen Einrichtungen abgelehnt (Beschluss vom 10.02.2022, 1 BvR 2649/21).
Damit wird die von Betroffen, Einrichtungen, Verbänden, Juristen und Teilen der Politik heftig kritisierte Impfpflicht für Beschäftigten in Pflege-, Betreuungs- und andere Gesundheitsberufen zum 16.03.2022 Wirklichkeit werden. Nach den kritischen Äußerungen aus Bayern diese Woche konnte bei den Betroffenen noch Hoffnung bestehen, dass die Impfpflicht doch nicht kommt. Mit der heutigen Entscheidung dürfte aber feststehen, dass daran bis auf weiteres nicht mehr gewackelt wird. Mit einer Entscheidung in dem sog. Hauptsacheverfahren wird bis Mitte März nicht zu rechnen sein.
Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage der Verfassungsmäßigkeit offengelassen. Es schätzt aber die Folgen, die eine vorübergehende Aussetzung der Impfpflicht zur Folge haben könnte, als schwerwiegender als den Eingriff in die Rechte der betroffenen Beschäftigten ein. Das Gericht formuliert dies zusammengefasst so: „Der sehr geringen Wahrscheinlichkeit von gravierenden Folgen einer Impfung steht die deutlich höhere Wahrscheinlichkeit einer Beschädigung von Leib und Leben vulnerabler Menschen gegenüber.“
Das Gericht stellt in der Begründung darauf ab, dass die vulnerablen Personen, also Patienten, Bewohner oder Betreute durch nichtgeimpfte Beschäftigte einer größeren Ansteckungsgefahr ausgesetzt sind, als durch Geimpfte. Weitgehend unberücksichtigt gelassen hat das Gericht dabei den aus der Wissenschaft vorgebrachten Hinweis, dass aufgrund der derzeit vorherrschenden Omikronvariante gar nicht mehr ohne weiteres gesagt werden kann, dass Ungeimpfte viel weniger ansteckend sind, als Geimpfte. Gänzlich unbenannt geblieben ist, dass die verpflichtende tägliche Testung für Ungeimpfte aufgrund der 3-G-Regelung am Arbeitsplatz sogar einen besseren Schutz der vulnerablen Personen bieten kann, als mit dem Status geimpft oder genesen ohne Testung erreicht werden kann. Mittlerweile dürfte jeder einen Geboosterten kennen, der sich mit dem Coronavirus infiziert hat. Die Impfung schützt sicherlich vor schweren Verläufen, aber nicht mehr vor Ansteckung. Im Gegenteil kann gerade der milde oder symptomlose Verlauf einer Erkrankung sogar eine besondere Gefährdung der eigentlich zu schützenden Personen darstellen, weil der Erkrankte seine Infektion schlicht nicht merkt, aber ansteckend ist.
Über die Verfassungsmäßigkeit an sich hat das Bundesverfassungsgericht nicht entschieden. Der Entscheidung ist aber eine deutliche Ohrfeige an den Gesetzgeber zu entnehmen. Es bestehen, so das Gericht, Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der in § 20a IfSG gewählten gesetzlichen Regelungstechnik einer doppelten dynamischen Verweisung, da die Vorschrift auf die COVID-19- Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung verweist, die ihrerseits wiederum auf Internetseiten des Paul-Ehrlich-Instituts und des Robert Koch-Instituts verweist. Die abschließende Prüfung der Verfassungsmäßigkeit bleibt damit dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
Die Folgen der Entscheidung sind indes klar: Die einrichtungsbezogene Impfpflicht kommt. Darauf müssen sich nun endgültig alle Betroffenen, egal ob Arbeitnehmer, Arbeitgeber oder Gesundheitsämter einstellen. Aber auch die Arbeitsgerichte werden sich auf eine Klagewelle vorbereiten müssen. Zahlreiche arbeitsrechtliche Fragen sind weiterhin unbeantwortet. Das Gesetz wirft mehr Fragen auf, als es Antworten gibt. Der Kritik an dem auch handwerklich schlecht gemachten Gesetz, die auch das Bundesverfassungsgericht geäußert hat, kann sich jeder mit der Materie Befasste nur anschließen.
Die Fragen sind vielfältig. Ist eine Kündigung gerechtfertigt? Das wird man wohl eher verneinen können. Darf der Arbeitgeber die Gehaltszahlung einstellen? Ab einem Beschäftigungsverbot sehr wahrscheinlich. Besteht ein Anspruch für Betroffene auf Arbeitslosengeld? Dafür gibt es gute Argumente. Sollte ich als Betroffener lieber selbst kündigen? Auf keinen Fall.
Lesen Sie die weiteren Beiträge zu dem Thema auf dieser Seite. Haben Sie Fragen zu den arbeitsrechtlichen Folgen, fragen Sie mich.
Thomas Regh
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Tel: 0228/60414-25
thomas.regh@huemmerich-legal.de
EuGH stärkt Schutz von schwerbehinderten Arbeitnehmern
Schwerbehinderte Arbeitnehmer haben bereits in der Probezeit ein Recht auf einen leidensgerechten (freien) Arbeitsplatz
EuGH: Behinderte Arbeitnehmer haben bereits in der Probezeit Anspruch auf einen (anderen) Arbeitsplatz.
Mit heutigem Urteil (10.2.2022) erklärt der Gerichtshof unter dem Aktenzeichen C-485/20, dass Arbeitnehmer mit einer Behinderung in jedem Fall Anspruch darauf haben, auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz weiterbeschäftigt zu werden, wenn denn ein solcher Platz frei ist. Dies gelte auch dann, wenn der Arbeitnehmer noch in der Probezeit sei.
Im konkreten Fall ging es um einen Arbeiter bei der belgischen Bahn. Er erhielt aufgrund Herzbeschwerden einen Herzschrittmacher und konnte daher nicht mehr auf den Gleisen arbeiten. Nachdem er sodann weiter im Lager beschäftigt wurde, erhielt er noch in der Probezeit seine Kündigung. Das belgische Gericht legte den Fall dem Europäischen Gerichtshof vor, der seine Entscheidung auf die Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie 2000/78/EG stützt. Danach haben die Mitgliedsstaaten eine effektive Durchsetzung des Rechts auf Teilhabe am Arbeitsleben zu gewährleisten.
Bei der Prüfung, ob dies im Einzelfall zu einer unverhältnismäßigen Belastung für den Arbeitgeber führt, sollten laut EuGH insbesondere folgende Kriterien berücksichtigt werden: finanzieller Aufwand, Größe, finanzielle Ressourcen und Gesamtumsatz der Organisation oder des Unternehmens, öffentliche Mittel oder andere Unterstützungsmöglichkeiten.